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Vorwort
Etwa zu der Zeit, als der be-
rüchtigte „Salon des Refuses" von
1863 einen Wendepunkt in der
französischen Malerei mar-
kierte, malte Degas ein Selbst-
bildnis (Abb.1), das kaum we-
niger als das eines potentiellen
Revolutionärs hätte aussehen
können. Degas wirkt darauf wie
der vollkommene Bourgeois,
oder, in den Worten des kubistischen Malers Andre Lhote, wie
„ein verheerend unbestechlicher Buchhalter". Degas trägt die uniforme Begräbniskleidung des männlichen Großbürgers des 19.Jahrhunderts, die sie in den Worten Baudelaires wie „ein
enormes Gefolge der vom Leichengräber bestellten Totenkläger"
aussehen ließ, und lüftet höflich seinen Zylinder, während er
vorsichtig den forschenden Blick des Betrachters erwidert. Ein
einige Jahre zuvor aufgenommenes Photo (Abb.2), das sich in
der Bibliotheque Nationale in Paris befindet, zeigt eine ähnliche
Darstellung, obwohl darauf seine Haltung angespannter und verlegener als auf dem Gemälde wirkt. Auf dem Photo hält Degas , I
seinen Zylinder mit einer Geste über seinen Schoß, die unbeabsichtigt an den Bauern in Millets Angelus erinnert. Dali deutete
die unbequeme Pose des Bauern provokativ als den Versuch, eine
aufkommende Erektion zu verbergen. Degas' verlegener, ge-
hemmter Ausdruck deutet ebenfalls auf ein Element sexueller
Scham hin.