- Umfang/Format: 59 Seiten : Seiten 43 - 59 Abb. ; 4
- Erscheinungsjahr: 1965
- Gesamttitel: Archiv der Zeitgeschichte
Selbst die Tüchtigsten unter den Unionspolitikern begannen spätestens 1953 von Adenauer nur noch mit gedämpfter Stimme als »dem großen alten Mann« zu sprechen, dem man nicht mit kleinlichen Einwänden begegnen dürfe, sondern dem man sich auch dann fügen müsse, wenn man die Motive seines Handelns nicht verstehe.
Diese Einstellung seiner nächsten politischen Freunde erleichterte es Konrad Adenauer,
im Laufe der fünfziger Jahre die in seinem Wesen angelegte Tendenz zum Autokraten immer weiter auszubilden. Daß er autoritär gesinnt war, sollte man einem starken Charakter, der von den Erziehungsmethoden des wilhelminischen Zeitalters geprägt worden war, nicht als Untugend anrechnen. Autoritäre Gesinnung braucht jedoch keineswegs eine demokratische Grundhaltung auszuschließen, sondern ist damit sehr wohl vereinbar. Zum Autokraten haben Adenauer aber nicht nur Natur und Erziehung bestimmt. Er ist das im Laufe seines Lebens hauptsächlich deshalb geworden, weil ihm — vor allem von seinen politischen Freunden und Weggefährten —
allzu wenig Widerstand entgegengesetzt worden ist. Die Deutschen sind als Nation in hohem Maße anfällig für Führer- und Vaterfiguren. Einem Mann, der beide Eigenschaften wirklich oder scheinbar in sich vereinigt, sind sie beinahe hilflos ausgeliefert.
Helmut Lindemann