Das ist ein Stück aus einer so verstaubten und uns
fern erscheinenden Zeit, und doch liegt sie nur
wenige Jahrzehnte zurück und war nicht anders bei
uns als in der kleinen polnischen Stadt
Was tat eine besorgte Frau Mama, wenn ihr Sohn den
Aufenthalt in zweifelhaften Nachtlokalen angenehmer
fand als die Familienabende in einem gutbürgerlich
eingerichteten Wohnzimmer?
Sie ging und holte sich aus dem Waisenhaus ein
neues Dienstmädchen, jung und knusprig. Und siehe
da, das Mittelchen schlägt an. Der junge Tunichtgut
findet, für eine Weile zumindest, das blonde, saubere
Landmädchen Hanka netter als die Schönen der Bar.
Frau Dulski, eben jene besorgte Frau Mama, ist tief
befriedigt Sie findet endlich wieder Zeit, ihre Mieter
zu schikanieren, ihres Pantoffelhelden Erholungsspa-
ziergänge rund um den Eßzimmertisch zu kontrollieren
und die Tanzstundenerfolge ihres lyzeumsgebildeten
Töchterleins zu genießen. Alles scheint in schönster
Ordnung, bis – ja, bis Hanka ein Kind erwartet! Bis
der Sohn hinter die „menschenfreundlichen" Schliche
seiner Mutter kommt und beschließt, das Dienst-
mädchen zu heiraten. Allen gutbürgerlichen Ge-
pflogenheiten zum Trotzt Der Skandal ist perfekt. Die
Familienaufregung wirbelt den Staub aus den Plüsch-
portieren• Der Herr des Hauses tut nach langen Jahren
mal wieder den Mund auf. Hol' euch alle der Teufel!"
sagt er. Frau Dulski liegt tagelang unter einem Eis-
beutel und sinniert. Dann zählt sie, vor Geiz ächzend,
ihre sauer erwucherten Scheine und macht dem Mäd-
chen Hanka ein Angebot. Die nimmt das Geld und
geht Denn sie weiß: Den „jungen Herm" bekommt sie
doch nicht, eher holt wirklich der Teufel die ganze
Sippschaft. So waren die Verhältnisse am Anfang
unseres Jahrhunderts. In gewissen Landstrichen aller-
dings scheinen sich solche Bräuche noch hartnäckig zu
halten.
Doch werfen wir noch einen kurzen Blick in das hoch-
herrschaftliche Haus der Frau Dulski: Die Mieter
müssen jetzt das für Hanka hinausgeworfene Geld
wieder 'reinwohnen. Der Sohn flüchtet wieder in seine
Animierlokale, weitere Protestaktionen verbieten sich
– schließlich lebt er ja vom Geld seiner tüchtigen Frau
Mama. Der Vater hat wieder aufgehört zu reden und
qualmt sich mit der einen Zigarre, die ihm allmorgend-
lich zugeteilt wird, einen kurzen Vergessensrausch an.
Die höheren Töchter klimpern wieder fleißig auf dem
Klavier und langweilen sich dabei schier um ihre
Schönheit. Kurz – die spießbürgerliche Welt ist wieder
in ihren Fugen. Ein Leben, wie es Gott gefällig ist!"
sagt die erleichterte Frau Dulski. „Ein Dulski zu sein,
ist eine Katastrophal" sagt ihr Sohn. – Wirklich, eine
nette Familiel
Das Drehbuch dieses gesellschaftskritischen Films ent-
stand noch dem gleichnamigen Theaterstück der
polnischen Schriftstellerin Gabriela Zapolska (1860 bis
1921). Gabriela Zapolska behandelt in all ihren Wer-
ken soziale Probleme und Mißstände, schildert das
Elend und die Häßlichkeit des Lebens in der kapita-
listischen Gesellschaftsordnung, deren Widersprüche
sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts immer mehr ver-
schärften. Vor allem aber gilt ihr schriftstellerischer
Kampf dem Spießertum und den verlogenen Kon-
ventionen. Die ehrenwerte' Frau Dulski ist geradezu
der Prototyp der Spießigkeit, die nicht nur für das
polnische Bürgertum jener Zeit bezeichnend war.
In unserer Gesellschaftsordnung hat die Moral der
Frau Dulski keinen Platz mehr – das ist die über-
zeugende und ernsthafte Grundtendenz dieser Film-
Satire.