Die freundliche Aufnahme, die die Broschüre in der Öffentlichkeit gefunden hat, macht inzwischen eine 5. Auflage notwendig. Um Konzeption, Umfang und Preis im gewünschten Rahmen halten zu können, wurden gegenüber der 4. Auflage nur einige Korrekturen und Erweiterungen vorgenommen.
Die mit der Broschüre verfolgte Absicht läßt keine ausführliche Erörterungen organisatorischer Dinge zu, doch kommt die aphoristische Konzentration auf das geistige Fundament vielleicht der Verständlichkeit dessen, was Freimaurerei will, entgegen.
G. E. Lessing stellte das Diktum auf, die Freimaurerei sei ihrem Wesen nach ein notwendiger Bestandteil der bürgerlichen Gesellschaft. Dieser Anspruch hängt damit zusammen, daß Gesetze nicht das einzige Fundament eines Staates sein können. Wert, Würde und Dauer gewinnt er erst mit der ethischen Kraft seiner Bürger. Deren Pflege hat die Freimaurerei zu einer ihrer Aufgaben gemacht.
Ethik kann man nicht verordnen. Sie muß aus der unabhängigen sittlichen Kraft, aus der freien Gesinnung der Individuen hervorgehen, zu der zu erziehen, Goethe als die vornehmste Aufgabe der Freimaurerei ansah. Nur dort, wo sich Gesetz und Ethik zu einer Ordnung der Freiheit, Gerechtigkeit und gegenseitiger Achtung verbinden, können Menschen im Einklang mit sich selbst leben, können Staaten blühen und sich zwischen ihnen fruchtbare Beziehungen entwickeln.
Die Freimaurerei bietet aber kein dogmatisch verpflichtendes System der Ethik an. Sie ist eine Kunst und erwartet von ihren Mitgliedern, daß sie sich selbst einen ihrem inneren Richter unterworfenen festen Stand verschaffen. Ihr Ziel ist der freie, wohlgesinnte, den Mitmenschen zugewandte
Mann, der seinen Anstand, seine Selbstbeherrschung und Haltung nicht von Theorien, Ideologien oder gängigen Sprüchen überwältigen läßt, und dem jede Art von Fanatismus zuwider ist.
Selbst die beste menschliche Ordnung trägt den Keim des Widersprüchlichen in sich, der zu Ungereimtheiten, Krisen und bösen Auseinandersetzungen führt. Hier möchte die Freimaurerei durch ihre Mitglieder dazu beitragen, daß die Menschen nicht in bornierter Abhängigkeit von eingeübten religiösen, politischen und sittlichen Überzeugungen diese zum weltzerstörenden Maß aller Dinge machen, daß sie höhere Notwendigkeiten nicht ihren selbstsüchtigen und oft schäbigen Interessen opfern, und daß sie sich in der Klugheit und Menschlichkeit üben, die den Menschen dialog-, konsens- und zu vernünftiger Entscheidung fähig machen.
Wie sich die Menschen einander zuwenden und miteinander verbinden, entscheidet wohl über das weitere Schicksal unserer Welt, denn, sagt Goethe, „die himmlischen und irdischen Dinge sind ein so weites Reich, daß die Organe aller Wesen zusammen es nur erfassen mögen". Die Mitte der Freimaurerei liegt daher in der freundschaftlichen Verbundenheit ihrer Mitglieder. Über alle Unterschiede des Charakters und des Intellekts hinweg sind sie sich darin einig, daß der Mensch in humaner Gemeinschaft nach einem sinnvollen Leben streben und dafür auch Opfer bringen muß.
Der Freimaurer ist aufgefordert, nicht gedankenlos ein gewöhnliches Leben zu führen. Er tue ungezwungen fröhlichen Herzens, wozu Natur und Umstände ihn bestimmt haben und wozu die Kunst ihn fähig macht.
Dr. Günter Pflanz!