- Ausgabe: 7., erweiterte Auflage
- Umfang/Format: 80 Seiten : Mit 110 Abb. ; 4
- Anmerkungen: Nebent.: Georg Kolbe. - Copyright 1932 by Rembrandt-Verlag, Berlin Status nach VGG: vergriffen
- Einbandart und Originalverkaufspreis: : 14.80
LEBENDER GESTALT — der Gestalt des Menschen — gehört die Welt die wir hier betreten. Sie ist ihr geweiht. Sie ist dem Leben der Menschengestalt geweiht. Göttlichkeit-Menschlichkeit dieser Gestalt — untrennbar —: das ist das Wesen dieser Welt. Von begehrlichem, inbrünstigem reinen Blick des Künstlers in der menschlichen Form gesehen geht dieses Untrennbare in ihr um. Von Bildner- und Schöpferhänden geschaffen steht sie um uns auf.
Wo immer eine der Gestalten dieser Welt uns lebenden Menschen be• gegnet — erstmals oder tausendmals — ruft sie uns gleichsam an. Diese Form ist wie ein stummer und doch lauter Anruf des Lebens selbst.
Denn dir ist sie aufgetan, diese Welt: dem lebenden Geschlecht. Dir ist sie getragen, geboren und zum Umgang bestimmt. Dich ruft sie und spricht sie an — und beachtet dich doch kaum in ihrem Stolz, der den Pöbel beleidigt. Die Zukunft mag bewundern: wir leben mit ihr. Wollen wir warten bis Nachgeborene sie betreten und lässig und zufrieden das als das ihre nehmen was uns zukommt? Haben wir verlernt, unserem eigenen reinen Bild ins Auge zu sehen, weil uns unser eigener Adel fremd geworden ist? weil wir eine Idealform zu sehen vermeinen, von der wir unsere Augen abwenden und unser Gefühl verschließen müssen? Glauben wir nicht mehr an den Bezeuger unserer Gestalt, da er sie in die Ewigkeit von Marmor und Erz hineinzustellen wagt?
Wir sind es denen dieses Leben gehört — nicht einer Zukunft. Wir sind die Dargestellten, wir allein auch die Beschauer. Wir sind die Gäste und die Wirte in dieser Welt der Gestalten. Wir sind die in ihr Geborenen und die mit ihr Sterbenden. Immer wieder ist es geschehen daß die Menschen, unfähig sich selbst zu vertrauen, überkommene Form höher achten als die der eigenen Zeit, dem eigenen Bewußtsein und der eigenen Ahnung entsteigende. Indem sie die Kunst ihrer Zeit ablehnen, lehnen sie sich selbst ab. Indem sie die Kunst ihrer Zeit gering achten, achten sie sich selbst gering. Indem sie an ihr vorübergehen, gehen sie an sich selbst vorüber. Indem sie sich nicht in den Gestalten des Künstlers ausgedrückt sehen, verzichten sie auf ihr Gegenwartsrecht.
Dies darf einem kühnen aufstrebenden selbstbewußten Geschlecht nicht begegnen. Am wenigsten dem das die Jugendlichkeit und Gegenwärtigkeit seiner
selbst behauptet und auf seine Fahnen schreibt. Ein solches Geschlecht ist es, nach dem die Welt ruft die wir hier betreten: Georg Kolbes W e l t.